Sonntag, 1. Mai 2022

Nicht für die Schule, für den Busch lernen wir - oder - Omnivora et Labora

 Auch wenn meine Karriereplanung mittelfristig noch nicht vorsieht, das Arbeitsutensil der Hacker-Skimaske gegen den Bushhut zu tauschen, so ist das erklärte Ziel dieser Afrika Reise dennoch der Erwerb einer Zertifizierung als Nature Site Guide. Und weil sich vermutlich irgendeine unsägliche Gottheit überlegt hat, vor den Preis den Schweiß zu setzen, müssen wir neben regelmäßiger Anwesenheit am Lagerfeuer und aufmerksamer Beobachtung von Löwenherden auch ein gewisses Maß an theroetischer Bildung nachweisen. 

Und entgegen der ansonsten eher verarbeiteten passt-schon-Attitüde, die in Afrika sehr heimisch ist, müssen wir hier ein mehrere hundert Seiten starkes Workbook durcharbeiten und mehrere theoretische und eine praktische Prüfung am Ende des Kurses ablegen. 

Der vermutlich am meisten gefürchtete Teil dieser Prüfung ist die Identifikation von Säugetieren, Fröschen, Insekten, Schlangen, Spinnen und vor allem Vögeln. Sehr viele Vögel. Viel zu viele Vögel.  

Eines der Dinge, die ich im theroetischen Unterricht gelernt habe und das mich mehr schockiert als die Tatsache, dass Giraffen regelmäßig Knochen toter Tiere fressen (tun sie tatsächlich, es heißt Osteophagie) ist Umstand, dass Birding - also Vögel beobachten - das zweit verbreitetste Hobby der Welt ist. Es entzieht sich auf meiner Vorstellungskraft, warum Leute tausende Euros für Reisen bezahlen, auf denen sie dann einen Piepmatz sehen der statt eines braunen Flecks am Bauch einen roten Fleck am Bauch hat, aber scheinbar ist das ein Ding. 

Ich versuche, diese Begeisterung dadurch verstehen zu können, dass ich mir vorstelle, eine Vogelsichtung ist wie eine Pokemon-Karte, die fanatisch gesammelt wird und ich als Guide der bewunderte Comicladen-Besitzer, der die Dinger verkauft. 


Insgesamt müssen wir über hundert Vögel identifizieren können, von denen wir 58 anhand ihrer Rufe erkennen müssen. Das hat unter anderem Folge, dass im Camp stets ein gewisses Grundrauschen an Vögelgesängen herrscht, die von Handys für Lernzwecke angespielt werden. Außerdem wird vor jeder Mahlzeit die Reihenfolge, wer zuerst sein Essen abholen darf mithilfe eines Vogelstimmen-Quiz bestimmt. Das Ganze geht so weit, dass am Lagerfeuer abends dann anstatt eines zivilisierten Gesprächs über die Vor- und Nachteile invasiver Erosionsprävention eher eine inbrünstige Imitation eines afrikanischen Fischadlers zu hören ist.


Mit größter Phantasie bauen wir uns hier Eselbrücken um die teilweise nahezu identisch klingenden Vogelstimmen auseinanderhalten zu können. Und für den eingeweihten Vogelkundler hört sich dann der Ruf des brown-headed Parrot an wie eine professionelle Zahnreinigung und die Pearl-spotted Owl wie ein Feueralarm.




Abgesehen von der Theorie dürfen wir mittlerweile selbst in die Rolle eines Guides schlüpfen und selbstständig Game Drives durchführen. Dabei ist unser bester Partner der umgebaute Toyota Landcruiser, der für mich neben Flora und Fauna der zuverlässigste Quell großer Augen darstellt. Selbst mit bis zu 12 Personen beladen fährt dieses in Würde gealterte Meisterwerk japanischen Autobaus im Standgas noch absurd steile und mit Medizinball-großen Felsen gepflasterte Pfade hoch. Wenn ich hinten drin sitze und mich wieder Mal frage ob meine ADAC Plus Mitgliedschaft auch in einem von Löwen verseuchten Sumpfgebiet zieht, dann bleibt unser Guide ganz gelassen und beruhigt den Fahrer "don't worry, in first Gear it will climb everywhere" - und bis jetzt hatte er Recht.





Sobald man selbst in Fahrersitz hockt und die Meute hinter sich unterhalten muss ist das Gefühl doch ein deutlich anderes als wenn man sich im Font des Wagens lümmeln und berieseln lassen kann. Nach nun mehr als drei Wochen im Busch haben wir so langsam beispielsweise eine gewissen Grad an Sättigung an Impalas erreicht. Die Viecher laufen überall herum und nichtsdestotrotz sollte ein Guide aber während des Trips ein paar Worte über diese doch recht auffälligen Antilopen verlieren. Das führt zu dem Dilemma, dass man einerseits ähnliche Informationen immer wieder zu hören bekommt, und andererseits auch immer wieder Ähnliches erzählen muss. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde man durch die Berliner Innenstadt laufen und die Essgewohnheiten der ansässigen Taubenpopulation kommentieren müssen. Nichtsdestotrotz geben sich Alle Mühe, neue spannende Fakten - in Expertenkreisen als "Fun Facts" tituliert - zu recherchieren und zum Besten zu geben. 

Mindestens genauso problematisch ist es, wenn man einem Tier über den Weg läuft, über das man entweder noch gar nichts weiß oder das beschlossen hat, die Konvention des vom ihm erwarteten Verhaltens vollkommen zu ignorieren und komische (und somit schwer erklärbare) Dinge zu tun. Dann ist man sehr dankbar, dass keine Gäste im Wagen sitzen, sie absurde Geldmengen für den Game Drive ausgegeben haben und einer der Guides mit einer meist einleuchtenden Erklärung aushelfen kann, die dann hoffentlich fürs nächste Mal in einer Hirnwindung abgelegt werden kann.

Auch wenn es um Längen anstrengender ist, den Drive selbst zu leiten, so ist es doch immer wieder eine willkommene Herausforderung und den Toyota durch die Savanne manövrieren zu dürfen entschädigt für die Aufregung.





Neben den Drives sind wir dann einmal am Tag zu Fuß unterwegs und suchen nach Tierspuren in Form von beispielsweise Fußabdrücken oder Ausscheidungen. Während man sich vorkommt wie Winnetou, wenn man neben einem Abdruck einer Löwenpfote im sind kniet und sich über Bewegungsrichtung, Alter, Datum der letzten Maniküre und Sternzeichen des Verursachers austauscht, ist das Wühlen in den Haufen nicht immer so glorreich. Bei den Pflanzenfressern ist es noch relativ eindeutig, wer sich im Sand verewigt hat. Bei den Fleischfressern oder Omnivoren wird dann eine eingehendere Untersuchung fällig, um beispielsweise einen Pavian von eine Schleichkatze zu unterscheiden. Wer dann richtig im Busch angekommen ist, schätzt bei Elefantenhaufen anhand der Temperatur ab, wann sich das Rüsseltier von seinen überschüssigen Mopani-Blättern getrennt hat. Die Erfahrung zeigt, dass sich der kleine Finger dafür am besten eignet um die Wahrscheinlichkeit einer späteren Kollision zwischen Gesicht und Elefantendung so gering wie möglich zu halten.


Und als Abschluss, ein perfektes Beispiel forensischen Spurenlesens. Diese Taube hatte das Pech, einem hungrigen Paviian im falschen Moment begegnet zu sein. Da es sich nicht um einen chinesischen Pavian gehandelt hat, war er so gütig uns die Füße übrig zu lassen, sodass wir die Fingerabdrücke der Taube nachvollziehen können.



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